Bilderverbot!? Die Bedeutung von Bildern in Bibeln

Im Hinblick auf Kinder

Noach, Mosaik, Venedig, Markusdom
Foto (https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1c/Noah_mosaic_fragm.jpeg, letzter Zugriff: 06.04.2024)

Ein echtes Kunstwerk bleibt, wie ein Naturwerk, für unseren Verstand immer unendlich: es wird geschaut, empfunden; es wirkt, es kann aber nicht eigentlich erkannt, viel weniger sein Wesen, sein Verdienst mit Worten ausgesprochen werden.
JOHANN WOLFGANG VON GOETHE („ÜBER LAOKOON“, 1798)

Brauchen wir Bilder in einer Bibel? Und wenn ja, welche? Oder sind Bilder nicht eher schädlich, weil sie den Eindruck vermitteln, Gott, der Unendliche, wäre fassbar und alles Geschehen in der Bibel sei tatsächlich so abgelaufen?

Ohne Zweifel haben Bilder eine prägende Wirkung, insbesondere im Kindesalter. Je jünger unsere Kinder, desto intensiver werden sie den Text über das dargebotene Bild aufnehmen und sich merken. Die Vorstellungen, die unsere Kinder von den biblischen Stoffen bekommen, werden sich am Bild orientieren. Umso wichtiger also, gute Bilder auszuwählen, Bilder, die in ihrer stilistischen Vielfalt und künstlerischen Qualität den großen Reichtum biblischen Redens von Gott widerspiegeln. Bilder großer Kunst ähneln in ihrer Eigenschaft, nie restlos erklärt werden zu können, dem biblischen Anspruch eines Gottes, der in seiner Größe unerschöpflich ist. Kunst ist als „Sprache des Unsagbaren“ (Kandinsky, zitiert nach: Goecke-Seischab 2010,12) vorzüglich geeignet, biblischen Inhalten Ausdruck zu geben, ohne ihre Geheimnishaftigkeit zu zerstören. Die Kinder werden intuitiv das „Kostbare“ an diesen Bildern erfassen und in ihrem Gemüt tief berührt werden.

Dennoch schützen diese Bilder nicht vor der Weitergabe von Klischees. Das wohl folgenreichste Klischee ist die Abbildung Gottes als Großvater mit langem grauem Bart, ein Bild, das etwa im 12. Jahrhundert in der Kunst aufkam. Zwar kann diese Vorstellung im Kleinkindalter durchaus zunächst positiv besetzt werden, für spätere Zeit jedoch hat sie fatale Folgen. Denn diese Bilder unterschlagen die absolute Andersartigkeit Gottes, sie legen Gott fest auf den Archetyp „würdiger Greis“ und schließen durch die männliche Zuordnung sämtliche weibliche Aspekte Gottes aus.

Wenn ein solch früh beigebrachtes Gottesbild im Gedächtnis haften bleibt, kann es später zu einer totalen Ablehnung Gottes kommen. Der erwachsene Mensch wird sich entrüstet von dieser Vorstellung abwenden und den Glauben ad acta legen, wenn er nie die Gelegenheit hatte, seine Bilder von Gott nachreifen zu lassen (Lange 2002, 49-67).

Ist uns einmal klar geworden, dass wir Gott im gemalten Bild nie „haben“ können und dass er nur indirekt in Annäherungen „begreifbar“ gemacht werden kann, werden wir auch die biblischen Texte mit anderen Augen lesen. Wir Menschen können von Gott nicht anders reden als im Bild. Kein Mensch hat Gott je gesehen.

Warum aber, so fragt es sich nun, hat Gott im ersten seiner zehn Gebote ein strenges Bilderverbot aufgestellt („Du sollt dir kein Gottesbild machen, und keine Darstellung von irgendetwas im Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde“, Ex 20,4; Dtn 5,8)? Wie verträgt sich diese Forderung mit dem Bilderreichtum biblischen Sprechens und dem Bedürfnis der Menschen, insbesondere der Kinder, nach Darstellung biblischer Inhalte?

Hier muss man zunächst unterscheiden: Das Bilderverbot bezog sich auf materielle Bilder, nicht auf Sprachbilder. Das sichtbare Bild selbst sollte nicht verehrt und angebetet werden. Das Bilderverbot meinte kein generelles Kunstverbot, auch nicht das Verbot der didaktischen Anwendung in der Belehrung von Kindern. Letztlich, so der Alttestamentlicher Dohmen (21987, 22), hat das Bilderverbot jedoch nur sekundär mit Kunst zu tun, da es ihm primär um die Frage nach der Bestimmung des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch geht. Es wacht darüber, dass die Menschen den rechten Abstand zu Gott wahren und sein Anderssein respektieren.

Dennoch gab es erbitterte Kämpfe um die Frage, wie das biblische Bilderverbot genau auszulegen sei – man denke zum Beispiel an den byzantinischen Bilderstreit im 8./9. Jahrhundert oder an den reformatorischen Bildersturm im 16. Jahrhundert, in dem unzählige kostbare Kunstwerke gewaltsam zerstört wurden. Die einen beriefen sich auf das Verbot und lehnten kategorisch Bilder als Götzendienst und überflüssiges Beiwerk ab, die anderen betonten vor allem ihren pädagogischen Nutzen. Noch heute gibt es im Judentum und Islam ein strenges Bilderverbot, und auch protestantische Christen gehen infolge reformatorischer Bilderkritik skeptisch mit sakralen Kunstwerken um und bevorzugen eher den nüchternen Kircheninnenraum.

Exemplarisch soll in Folgendem die Argumentation sowohl der Bilderfeinde als auch der Bilderverehrer mit Hilfe einiger einschlägiger Zitate verdeutlicht werden (zitiert nach: Lange, 2002, S. 341-349):

„Ich weiß nicht, was dich zu befehlen antreibt, ein Bild unseres Heilandes zu malen … Wer auch immer könnte den hellen strahlenden Glanz solcher Würde und Herrlichkeit mit toten, unbeseelten Farben und Linien wiedergeben? … Wie könnte jemand von dieser so wunderbaren und unbegreiflichen Gestalt, wenn man überhaupt noch das göttliche und geistige Wesen Gestalt nennen darf, ein Bild malen?“
Eusebius von Cäsarea, Brief an Kaiserin Konstantia, vor 339

„Denn was für die, die lesen können, Schrift ist, das leistet für die schauenden Ungebildeten das Bild, weil in ihm Unkundige sehen, wonach sie trachten sol-len, in ihm lesen, die die Buchstaben nicht kennen.“
Papst Gregor I., Brief an Bischof Serenus von Marseille, Oktober 600

„Du sagst: ‚Steine, Wände und Holzbretter betet ihr an!’ Dem ist nicht so. Wir verehren die Bilder, weil sie uns Denkhilfe und Anregung sind und weil sie unser erdhaftes, sinnengebundene Denken zur Höhe ziehen … Aber wir beten sie nicht an als Götzenbilder … Denn wir gründen unsere Hoffnung nicht auf sie…“
Papst Gregor II., Brief an den bilderfeindlichen Kaiser Leo III, 8. Jahrhundert

„Wenn ich keine Bücher zur Verfügung, keine Muße zum Lesen habe, gehe ich zur Kirche, der öffentlichen Heilstätte der Seelen, weil ich von meinen Gedanken wie von Dornen gequält werde. Die bunte Pracht der Malerei zwingt mich zur Betrachtung, und wie der Anblick einer Wiese sättigt sie meinen Blick, und allmählich führt sie meine Seele zur Verherrlichung Gottes.“
Johannes von Damaskus, Bilderreden (Florilegium), ca. 740

„Die Kirche glänzt an ihren Mauern und lässt es bei den Armen an allem fehlen. Sie bekleidet die Steine mit Gold und ihre Kinder lässt sie nackt. Mit dem, was man für die Bedürftigen ausgeben müsste, dient man den Augen der Reichen. Die Neugierigen finden ihr Vergnügen und die Unglücklichen nicht einmal das zum Leben Notwendige.“
Bernhard von Clairvaux, Apologie für Wilhelm von St. Thierry, 1123-24

„Es gibt Gründe für die Einführung von Bildern in der Kirche: 1. Zur Unter-weisung der Ungebildeten, die durch sie gewissermaßen wie durch Bücher belehrt werden; 2. damit das Geheimnis der Inkarnation und die Vorbilder der Heiligen besser im Gedächtnis haften blieben, wenn sie täglich vor Augen gestellt werden; 3. um die Gefühle der Frömmigkeit anzuregen, was wirksamer über das Sehen des Bildes als über das Hören des Wortes geschieht.“
Thomas von Aquin, Sentenzen-Kommentar III,1, um 1252


Die Bilder sind weder so noch so, weder gut noch böse. Man mag sie haben oder nicht haben … Wenn ich Christum höre, so entwirft sich in meinem Herzen eines Mannes Bild, das am Kreuz hängt … Wenn es nun nicht Sünde, sondern gut ist, dass ich Christi Bild im Herzen trage, warum sollte es dann Sünde sein, wenn ich es in den Augen habe? Gilt doch das Herz mehr als die Augen …, nämlich als der rechte Sitz … Gottes.“
Martin Luther, Predigten, 1522 und 1525


Literatur:

Dohmen, Christoph, und Sternberg, Thomas (Hg.), 21987, … kein Bildnis machen. Kunst und Theologie im Gespräch, Würzburg.

Goecke-Seischab, Margarete Luise und Harz, Frieder, 2010 (Originalausgabe 2004), Christliche Bilder verstehen. Themen, Symbole, Traditionen, Köln.

Kurschus, Annette (Hg.), 2016, Du sollst Dir kein Bildnis machen. Bild und Bibel – 12 Vorträge, Bielefeld.

Lange, Günter, 2002, Bilder zum Glauben, Christliche Kunst sehen und verstehen, München.